Ein Ort der Begegnung, eine kollektive Vision, offen für alle und jede*n, ein Rahmen in dem Tanz vielstimmig (re-)präsentiert werden kann, wo Mediation durch TANZ und Vermittlung von TANZ zu einer gemeinsamen Sprache führt. Ein Gedanke, den wir in der Berliner Tanzszene vielstimmig teilen und auf unterschiedlichen Wegen Schritt für Schritt mit aufbauen.

 

Denn solch ein ‘innovativer und zukunftsweisender’ Ort lässt sich nicht einfach spontan über Nacht realisieren, vor allem nicht wenn das gemeinsame Ziel eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft vorsieht, sowohl lokal als auch regional, ja international. Schon von Anfang an schien der Fokus auf Inklusion und Diversität tiefgreifend zu sein und prägt somit kontinuierlich den Entstehungsprozess dieses ZENTRUMs. In den jetzigen sozialen Machtsystemen ist es äußerst wichtig, das Abhängigkeitsverhältnis neu zu untersuchen und diejenigen zu befähigen, die weniger im Rampenlicht der Gesellschaft stehen, nach vorne zu rücken und autark zu sein, sowohl individuell als auch kollektiv dezentrale Angebote zu schaffen, von und mit marginalisierten Communities. Denn je weiter am gesellschaftlichen Rand sich eine Gruppe befindet, desto weniger Macht hat sie und desto stärker ist sie gegenüber der gesellschaftlichen Mitte benachteiligt. Im Kulturbereich, vor allem in Institutionen, haben marginalisierte Akteur*Innen schlechtere Zugänge zu Förderung, Bildung und einflussreichen Positionen. Marginalisierung existiert verstärkt im hierarchischen Machtgefüge und geht einher mit Diskriminierung. Die Zukunft schreit nach Umkehrung und Transformation solcher Prozesse und Beziehungen, durch Vermittlung von Empathie und Gleichberechtigung. Dazu brauchen wir mutige junge Menschen und einen ganzheitlichen Perspektivenwechsel. Tanzvermittlung hat in dem Sinne die Kraft, nicht nur in Einzelnen, durch Bewegung, das Authentische zu wecken, sondern auch eine gewisse kollektive Empathie und ein Sinn für ‘Sharing’ in Erinnerung zu rufen.

 

An diesem noch imaginären Ort, wo ganz unterschiedliche Menschen, Perspektiven, Expertisen und Ideen aufeinandertreffen, entsteht schon ein Team im Kern eines partizipativen Prozesses, das sich ernsthaft und determiniert damit beschäftigt, eine Struktur aufzubauen, die all diese unterschiedlichen Visionen, Bedürfnisse und Potenziale zusammenhalten kann wie ein Spinnennetz. Gleichzeitig entwickeln sie in diesem Rahmen eine Schnittstelle ‘aller’ Tanzvermittlungsaktivitäten der Stadt, bringen unterschiedliche Zielgruppen zusammen, und realisieren neue Formate, Kooperationen und Hybridprojekte, welche die dezentrale Berliner Tanzlandschaft unterstützen sollen. Um so mehr erweist sich die Rolle dieses Teams und der erweiterten Kollaborateur*Innen darin, dass es von der Bedarfsanalyse bis zur Umsetzung die Aktivitäten der in Tanzvermittlung tätigen Akteur*innen bündelt, und fungiert zusätzlich als Mediations-, Austausch- und Entwicklungsplattform für die Szene und über diese hinweg. Die Kompetenzen dieser ‘Pioniere’ liegen im Design und Controlling von Rahmenbedingungen die es ermöglichen, stets im Blick zu behalten, inwiefern Ressourcen und Mitgestalter*Innen gleichmäßig beteiligt werden. Welche Gremien und Beiräte diesen Prozess der fairen Aufteilung und (Re-)Präsentation zusätzlich unterstützen müssen, soll in weiteren Pilotformaten erforscht und konzipiert werden, da die dezentrale Landschaft der Tanzvermittlung in Berlin ja nahezu unsichtbar und versteckt ist, was dazu führt dass eine genauere Bestandsaufnahme und Vernetzungstaktik erforderlich ist.

 

Wie schon in den ersten Vorstellungen dieses Ortes formuliert wurde, entstehen im laufenden Prozess erweiterte und detailliertere Gedanken zu der Vernetzung, Praxis und Forschung von Tanz in Bezug auf die Stadtgesellschaft – in Form eines physischen Ortes und als dezentral agierende Einrichtung für kulturelle Bildung im Tanz, ständig engagiert in Interaktion mit und für ein diverses Publikum. In Etappen von wiederholbaren Prototyp-Laboren und Pilot-Begegnungen wird schon, aus der Konzeptionsphase, durch Methoden der Vermittlung nacheinander ein lokales und inter-/nationales Netzwerk aufgebaut, Zusammenarbeit mit Künstler*Innen angestoßen, sowie in weiterführende Phasen Projektentwicklung und -beratung mit/von Berliner Tanzschaffenden ermöglicht und Wissenstransfer, durch multiperspektivische Forschungslabore, in Bewegung gesetzt. Die Entwicklung von inklusiven Qualitätskriterien in Bezug auf Aus- und Weiterbildung soll ermöglichen auch denjenigen Zugang zum professionellen Austausch zu verschaffen, die aus dem klassisch konservativen Raster rausfallen.

 

Tanzvermittlung an der Schnittstelle zur Öffentlichkeitsarbeit sowie Vermittlungsformate, eingebettet in soziale Medien, dienen nicht nur der Sichtbarmachung des Berliner Tanzes, sondern haben das Ziel, Brücken zu Gesellschaftsgruppen aufzubauen, die sich außerhalb der elitären Kunst und Kulturszene bewegen. Nur so ist es möglich, nachhaltige Perspektivenwechsel anzuleiten und für eine neue zeitgenössische Form der Gemeinschaftskultur zu kämpfen, vor allem in einer Gegenwart geprägt von Wettbewerb und Egozentrismus.

Einblicke und Gedanken in die Prozessarbeit der Steuerungsgruppe für die Konzeption eines Tanzvermittlung Zentrums in Berlin, von Teo Vlad (Vorstandsmitglied ZTB e.V. und ehem. Mitgestalter des Erweiterten Teams des TVZ)

Hallo, mein Name ist Angela Alves. Ich spreche aus einer weiblichen, weißen Crip-Perspektive. Elena Basteri hat mich gebeten, für diese Website ein Statement zu verfassen. Elena ist eine der vier Frauen des Kernteams, weitere fünf Personen haben das Projekt als „erweiterte Teammitglieder“ begleitet. Ich bin eine davon und für den „Schwerpunkt Inklusion/Barrierefreiheit“ verantwortlich. Meine Aufgabe war und ist es, den Arbeitsprozess in Sachen Barrierefreiheit beratend zu begleiten und mitzugestalten.
Ich möchte den Raum für ein Statement gerne nutzen, um diese Position rückblickend zu reflektieren:

 

Was bedeutet es, eine Person mit im Team zu haben, die das Projekt mit Blick auf Inklusion und Barrierefreiheit begleitet? Welche Aufgaben und Verantwortungen fallen auf allen Seiten an? Wie viel Inklusionsprozess ist unter den vorgegebenen Arbeitsstrukturen möglich, und von welchen Bedingungen hängt eine gelungene Inklusionsarbeit ab?
Diese Fragen können hier natürlich nicht in der Tiefe geklärt werden, aber ich will zumindest eine kleine Annäherung versuchen, die auf die ein oder andere Weise hilfreich sein kann.

 

Das „Tanzvermittlungszentrum“ ist eine Zukunftswerkstatt, die sich der Neu-Ausrichtung eines Arbeitsfelds verschrieben hat, das sich noch im Entstehen befindet.
Die Steuerungsgruppe will zunächst herausfinden, was Tanzvermittlung ist und sein kann, wie Tanzvermittlung in Berlin verstanden wird, wo und wie sie stattfindet und vor allem, was sie noch braucht.
In den letzten 15 Monaten wurden dafür eine breite Umfrage sowie gezielte Expert*inneninterviews erstellt, durchgeführt und ausgewertet, es fanden mehrere öffentliche und halböffentliche Veranstaltungen statt, und in Labs, Workshops und Panels wurde Diskurs produziert, analysiert, dokumentiert und für verschiedene Zieladressaten repräsentativ aufbereitet. All das fand in Pandemiezeiten, mit einem frisch zusammengewürfelten Team und unter prekären Arbeitsbedingungen statt.

 

Für mich war die Zusammenarbeit mit der „Steuerungsgruppe Tanzvermittlung“ eine der ersten Erfahrungen außerhalb eines geschützteren Arbeitsraums, wie ich ihn als behinderte Künstlerin in Kooperationsprojekten mit „Making a Difference“ oder den Sophiensaelen kennengelernt hatte, und durch die ich in den normativen Tanzbetrieb hineingeschleust wurde. Als ich 2019 meine Zusammenarbeit mit den Sophiensaelen begann, war dort bereits seit mehreren Jahren ein machtkritischer, diskriminierungssensibler und inklusiver Transformationsprozess in Bewegung. Dieser Aspekt ist wichtig, wenn man die Bedeutung einer behinderten Choreografin in der Rolle der „Inklusionsexpertin“ innerhalb des Tanzvermittlungsprojekts verstehen will.

 

Als die gemeinsame Arbeit mit der Steuerungsruppe für ein künftigen Berliner Tanzvermittlungszentrum begann, hatte sich das Team gerade erst zusammengefunden. Ich war die einzige behinderte Person in einem ansonsten nicht-behinderten Team.

Zum einen ging es uns um die barrierefreie Planung der Aktionen (Umfragen, Interviews und Veranstaltungen) und zum anderen um barrierefreies Arbeiten im Team.

 

Barrierefreiheit ist das Schlüsselwort.

Barrierefreiheit ist, wenn niemand mehr einbezogen werden muss, weil niemand mehr ausgeschlossen wird.

 

Wer Inklusion will, muss im Grunde nur drei Dinge tun:

  • Zugänge schaffen für Menschen, die bisher ausgeschlossen wurden
  • Neugierig sein und Zuhören, Bereitschaft zeigen, sich kritisch hinterfragen zu lassen
  • Raum für Re-Organisation schaffen

Es ist jedoch keineswegs so, dass ich in einem perfekt funktionierenden inklusiven Arbeitsfeld gelernt habe, wie das geht, und dieses Wissen nun einfach in andere Räume übertragen könnte. Inklusion ist ein kollektiver Prozess. Und auch die Sophiensaele sind noch mitten in der Transformation begriffen. Die vorgegebenen Strukturen sind dort genauso hart und unwissend wie überall sonst. Aber diese Institution erkennt ihre Unwissenheit an und macht dem Tanzbetrieb das Angebot, ihre eigenen Strukturen mithilfe jener Menschen verändern zu lassen, von denen sie über die Anfälligkeiten derselben lernen können: Wenn man wissen will, wo die Barrieren sind, fragt man am besten diejenigen, die mit ihnen zusammenprallen.
Dieses Frage- und Antwortspiel im Namen der Inklusion ist aber leider hochkompliziert. Allein der Kommunikationsraum ist in vielerlei Hinsicht sensibel und störanfällig, denn er steht stets unter der Spannung des Mangels. Es mangelt auf allen Seiten an praktischen, emotionalen und psychischen Ressourcen. Es mangelt an Zeit, Sensibilität und Kommunikationskompetenzen. In diesen Kommunikationsräumen müssen Menschen, die permanent am Rand des Burn-Outs agieren, mit denjenigen sprechen, die gelernt haben, sich so gut wie möglich an ableistische, klassistische und rassistische Strukturen anzupassen, um ihr Überleben zu sichern.

 

In der Psychologie gibt es den Begriff der adaptiven Präferenz. Er bedeutet ungefähr, dass das, was man für seine eigene freie Wahl hält, in Wahrheit das Resultat einer Anpassung an repressive Rahmenbedingungen ist. Ich frage mich, ob es im zukünftigen Inklusionsprozess darum gehen wird, adaptive Präferenzen zu entlarven und durch gelungene Kommunikation in eine Sozialchoreografie der gemeinsamen Bewältigung systematischer und internalisierter Diskriminierung zu übersetzen. Könnten solche spannungsgeladenen Kommunikationsräume als gemeinsames Coping verstanden werden, in denen Inklusion mit Care und Sustainability zu einer postkapitalistischen transformativen Praxis verschmilzt?

 

Transformationsbewusste Arbeitsräume suchen einerseits nach Menschen aus diversen marginalisierten Gruppen, weil sie deren adaptive Präferenzen als Wissen und transformative Sprengkraft auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft erkennen. Andererseits verstehen diese Räume, dass Inklusion keine Charity-Veranstaltung ist, sondern als ein Instrument des Widerstands gegen die immens repressiven Ausbeutungsstrukturen in Frage kommt, die der Kulturbetrieb trotz drohendem Zusammenbruch nicht müde wird zu reproduzieren.
Wer Inklusion in Auftrag gibt, muss es also wahrhaftig wollen. Es geht nur mit der kollektiven Lust auf eine zukünftige Kultur der Vielen und Gleichen. Dieses Wollen braucht darüber hinaus ein Verständnis von Inklusion, das nicht auf Barmherzigkeit fußt, sondern auf dem Willen zum kollektiven Widerstand gegen die geltenden repressiven Rahmenbedingungen von freischaffender Kulturarbeit.

 

Vier Mütter und freie Kulturarbeiterinnen, die in diversen anderen Projekten gleichzeitig arbeiten, haben der Stadt Berlin wie nebenbei eine Vision geschenkt und sind dabei auf allerlei Barrieren gestoßen. Sie haben insgesamt unzählige Überstunden angesammelt, an Sams- und Sonntagen gearbeitet, ihre emotionalen, psychischen und physischen Grenzen missachtet, sind mit Burn-Out ausgefallen und wieder zurückgekehrt, haben sich aneinander gerieben, geöffnet und aufgefangen. Darüber hinaus stellten sie sich einer kritischen Öffentlichkeit und ließen sich von einer „Inklusionsexpertin“ immer wieder geduldig spiegeln, warum die Arbeitsbedingungen dieses Projekts weder barrierefrei noch nachhaltig sind. Wenn ein Projekt so dermaßen auf Kante getackert ist, ist es für ein Team extrem schwer, Inklusion nicht nur als Service einer einzelnen Beauftragten umzusetzen und darüber hinaus auch noch auszuhalten, dass diese Person den Prozess bremst und behauptet, dass das jetzt nachhaltig und gut für alle ist.

 

Mittlerweile habe ich mehr Erfahrung in der Zusammenarbeit mit nicht-behinderten Teams gesammelt und einen klareren Blick auf das, was Inklusionsarbeit von da aus sein und leisten kann. Rückblickend ordne ich meine Aufgabe als „behinderte Inklusionsexpertin“ innerhalb solcher Teams als ein behutsames Einläuten und Anstoßen eines Transformationsprozesses ein.

 

Bereits in unseren ersten Gesprächen haben wir über die kollektive Dimension von Barrierefreiheit gesprochen und gemeinsam verstanden, dass Inklusion kein Service ist, der durch meine Position abgedeckt werden kann, sondern nur als ein gemeinsamer Prozess funktioniert. Dieser muss von allen Teammitgliedern unterstützt werden und kann auch dann leider nur scheitern, weil die Zeit zu knapp und die Erwartungen zu hoch sind.
Diese gemeinsame Denkbasis ist Grundvoraussetzung, bevor ich die Arbeit in einem Team überhaupt aufnehmen kann. Alles, was danach passiert, ist davon abhängig, in welchem Maße das Team ein transformatives Bewusstsein bilden kann und inwieweit es sich im Laufe des Arbeitsprozesses auch praktisch dazu entscheiden kann, sich auf eine gemeinsame inklusive Praxis innerhalb der vorgegebenen Strukturen zu einigen.
Ein Balanceakt, auf den sich Janne, Gabriele, Nora und Elena eingelassen haben, obwohl dafür so gut wie keine Ressourcen vorhanden waren. Dafür bin ich diesen tollen Frauen sehr dankbar, denn ich glaube, dass die gemeinsam entwickelten Ideen einer transformativen Praxis von Inklusion einen Einfluss auf das Konzept eines zukünftigen „Tanzvermittlungszentrums“ haben werden.

Was kann Vermittlung innerhalb einer hierarchischen Weltsicht bedeuten? Unterscheidet sich Tanzvermittlung von anderen Vermittlungsformen?

Ein Beitrag von Nora Amin.

 

Als späte Migrantin in die deutsche Gesellschaft bleibt mir das Wort „Vermittlung“ oder „Mittlung“ ein Rätsel. Als Teil meiner sogenannten „Integration“ (die für mich ein weiteres Rätsel ist) versuche ich zu analysieren und zu verstehen, was „Vermittlung“ oder „Mittlung“ bedeutet, insbesondere in Bezug auf den Tanz. Ursprünglich wird das Wort in meiner Muttersprache, dem Arabischen, nie im Zusammenhang mit Kunst verwendet. „Wasata“ oder „Wisata“ wird hingegen häufig in Konfliktsituationen verwendet, in denen sich mindestens zwei Parteien nicht einigen können – bis eine dritte Partei hinzukommt und versucht, die Kluft des gegenseitigen Verstehens zu überbrücken und einen Konsens herzustellen. Während meiner Zeit in Ägypten, in den arabischen Regionen, im Nahen Osten und in Afrika habe ich das Wort mediation [engl.] immer mit starken Bezügen zu Konflikten erlebt. Es herrschte die Vorstellung von einer Art „mittleren Position“, von der Anwesenheit einer dritten Partei (in der Regel aus Europa oder den USA), die für die Lösung eines Konflikts sorgt. Die Vorstellung oder Formulierung eines politischen Konflikts war stets mit mediation verknüpft.
mediation bedeutete also die Existenz eines Konflikts. Und mit der Zeit haben wir (dort, am anderen Ende der Welt) verstanden, dass diese Position der Vermittlung in Wirklichkeit eine Position des Privilegs ist, die normalerweise dem Westen zugestanden wird. In Wirklichkeit gab es keine Mitte, denn Privilegien gehen einher mit Hierarchie, Ausbeutung und Diskriminierung. Die mittlere Position war in Wirklichkeit eine metaphorische Mitte, denn alle wussten, dass eine solche Position von Interessen und Allianzen geleitet sein würde. Prozesse der so genannten mediation waren Prozesse der Verhandlung, um die bestehenden Privilegien zu bewahren und sich vor der Zuspitzung eines Konflikts zu einer Krise zu schützen – einer Krise, die schließlich zu einer Neuordnung der Machtverhältnisse führen und damit eine Bedrohung für die bestehenden Interessen und Privilegien darstellen würde.

 

Diese sprachlichen und politischen Bezüge zum Begriff der Vermittlung verbinden sich für mich nun auf neue Weise mit dem Tanz. Ich frage mich an dieser Stelle, ob dieser Versuch der Begriffsannäherung gültig ist. Oder hat der Begriff Vermittlung und insbesondere der Begriff Tanzvermittlung hier in Deutschland nichts damit zu tun? Wie können wir trotzdem den Begriff schützen und uns von diesen Zusammenhängen distanzieren? Und kann die deutsche Sprache in ihrer gesellschaftspolitischen Dimension wirklich von diesen historischen und aktuellen Bedeutungszusammenhängen abgekoppelt werden? Als Migrantin und als Tanzpraktikerin, -wissenschaftlerin und -lehrerin komme ich nicht umhin, andere mir vertraute Sprachen in meine Interpretation der deutschen Terminologie im Tanzbereich mit einzubeziehen. Ich bin sicher, dass es vielen anderen kürzlich zugewanderten Menschen ähnlich geht. Die eigene Migration und die Diskurse um das postmigrantische Theater informieren uns darüber, dass wir uns permanent in einem Status der Verflechtung befinden, in einem Prozess des Wandels und der Transformation von sozialen Gefügen und Identitäten. Diese Verflechtungen, Transformationen und vielfältigen Denk- und Ausdruckssysteme können zu positiven Verschiebungen im Raum der Verständigung führen, zu einer neuen Vorstellung von Gesellschaft in Deutschland heranwachsen. Nichtsdestotrotz können diese positiven Verschiebungen und Zuwächse sehr wohl durch Macht und Hegemonie behindert werden, um Interessen und Autorität zu bewahren. Hier wäre „Vermittlung“ gefragt, um den Konflikt zwischen diesen neuen Kräften des Wandels und der bestehenden Macht und Autorität sowie den bestehenden Privilegien zu lösen.

 

Um meine Interpretation als Migrantin zu erweitern, stelle ich mir vor dass „Tanzvermittlung“, als ein neuer Begriff im kulturellen Feld in Deutschland, hervorgebracht wird um Verbindungen zu schaffen, Gespräche zu erleichtern und diese neuen Kräfte der Veränderung, der Verflechtung, der Verschiebung und De-Stabilisierung näher in den Fokus zu rücken. Und zwar als einen Beitrag zu einer erweiterten Vision dessen, was Tanz ist und wie der tanzende Körper „sein sollte“, wie er von vermeintlich zu erreichenden Attributen wie Schönheit, ability und „Normalität“ im Allgemeinen gesteuert wird.
Ist es hierfür wirklich erforderlich, dass sich die Tanzvermittlung in der Mitte befindet? Befindet sich jemals eine Person wirklich in der Mitte? Gibt es wirklich eine Mitte? Oder sprechen wir eher von einem Zentrum als von der Mitte? Was ist der Unterschied zwischen „Mittlung“ und „Zentrum“? Für mich ist die Mitte ein weiches und irreführendes Wort, das die Position der Mitte als Machtposition verdeckt. Die Frage die sich folgerichtig stellt, ist: Können Menschen, die durch die Besetzung des Zentrums bisher privilegiert waren, für die Dezentrierung verantwortlich sein? Oder ist es vielmehr die Aufgabe derjenigen, die marginalisiert, rassifiziert und diskriminiert wurden, die Dezentralisierung nun zu übernehmen, als eine natürliche Entwicklung ihrer Prozesse der Veränderung und Verflechtung hin zu einer gerechteren Welt?

 

Die derzeitige Situation der Tanzvermittlung ist im Umbruch. Wir denken nicht mehr nur über die Durchführung von Formaten nach, sondern hinterfragen die Vermittlung selbst, die Formate und den Tanz nun im Licht der kritischen Theorie, der feministischen Ansätze und der Diskurse um Dekolonisierung und Antirassismus. Wir überdenken unsere Positionen, Überzeugungen, Denksysteme, Bildungs- und Kulturpolitik. Es ist notwendig, Tanz in einem erweiterten Sinn und aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, und dem Kanon, dem etablierten Wissen und der Bildungsgeschichte des Tanzes durchaus zu widersprechen. Denn nur so können wir den gesellschaftspolitischen Veränderungen um uns herum und in uns selbst begegnen, und sicherstellen, dass unser Verständnis von Tanz nicht in Stagnation verfällt oder von Macht, Privilegien und Interessen instrumentalisiert wird. Tanzvermittlung kann ein Feld sein, in dem das Untergeordnete den Begriff der Mitte oder des Zentrums verwässert und eine Sphäre der Verflechtung einführt, die weder auf binären Systemen noch auf Spaltung und Hierarchie beruht. Tanzvermittlung kann also ein transitorisches Feld sein, das letztlich auf seine eigene Verwässerung abzielt. Das Ideal wäre eine Tanzcommunity, in der jede*r ohne Hilfe und ohne Vermittler*in präsent, teilhabend und sichtbar sein kann. Eine Tanzcommunity, in der Tanz ohne Diskriminierung, ohne Übersetzung, ohne einen zusätzlichen Arm, der den Tanz an die Peripherie drängt oder die Peripherie anzieht, geschaffen, aufgeführt, gelernt, praktiziert und rezipiert wird – gerade weil es kein Zentrum und keinen Rand gibt und der Fluss zwischen allen Tanzformen und allen Akteur*innen der Tanzcommunity gleichwertig ist. Wäre das nicht ein schöner Traum für unsere Gesellschaft als Ganzes? Und für den Tanz als Mikrokosmos dieser Gesellschaft, als ein Vorreiter und Katalysator?

 

Wie schön wäre es, unsere Denksysteme und unsere Vision von der Welt zu überdenken – wie wir die Welt und uns selbst wahrnehmen, welche Vorstellung von Menschlichkeit in dieser Gesellschaft herrschen, ob Menschlichkeit mit Privilegien oder Produktivität oder Weißsein zusammenhängt, wie Menschlichkeit hier praktiziert wird und wie sie im Tanz, in der Kommunikation und im allgemeinen pädagogischen System verkörpert und ausgelebt wird. Welchen Platz haben Menschlichkeit und Heilung in unserer zukünftigen Vision von Miteinander Sein? Wer produziert, wer repräsentiert und wer kommuniziert Wissen, und insbesondere Tanzwissen und Wissen über Vermittlung? Eine Untersuchung des Wissenstransfers im Tanz würde damit beginnen, das Wissen selbst im Großen (was nehmen wir als Wissen wahr und was nicht?) sowie die Systeme seines Transfers zu hinterfragen. Wenn wir eine solche Untersuchung und Hinterfragung ernsthaft betreiben wollen, sollten wir wissen, dass es keinen Weg gibt, die Auseinandersetzung mit der Geschichte von Kolonialismus, Rassismus und Patriarchat zu umgehen, denn es wäre zu unschuldig, sich vorzustellen, dass das Tanzwissen davon nicht betroffen ist – es wäre zu unschuldig, sich vorzustellen, dass im Tanzfeld keine Konflikte herrschen und dass Tanzvermittlung schlicht ein reibungsloser und harmonischer Prozess der Erweiterung von Tanz ist.

 

Von Google Translate (meiner Assistenz für Barrierefreiheit) erhielt ich das folgende verwandte Wort, als ich „mediation“ eingab:

  • Intervention in a dispute in order to resolve it
  • Conciliation
  • Arbitration (was, wie ich in den USA mit meinem Diplom in Kulturmanagement gelernt habe, mit Verhandlungsgeschick zu tun hat)
  • Intervention
  • Interference
  • Intercession
  • Negotiation
  • Obtrusion
  • Intrusion

Und nachdem ich mit dem Wort gespielt und zwischen Englisch, Französisch, Deutsch und Arabisch hin- und hergesprungen bin, habe ich Folgendes herausgefunden:
Repair Reform Rehabilitation Remedy.

 

Ich wäre sehr daran interessiert, meine Google-Suche mit konkreten Fragen an uns alle fortzusetzen, damit wir unser Verständnis des Begriffs sowie der Praxis der Vermittlung miteinander teilen können. Vielleicht als einen Weg um die Bedeutung zu erweitern, sie zu aktualisieren und hoffentlich vom sprachlichen, politischen und kolonialen Erbe loszulösen, das mit Krieg, Landbesetzung und verdeckter Kolonisierung verbunden ist.

 

Einige einfache Fragen, die wir mit in die Zukunft nehmen können:
Was ist Tanz?
Wie erlangen wir unser Wissen über Tanz?
Ist Tanz überall präsent und verkörpert er jede*n?
Wächst Tanz mit uns von der Kindheit bis heute? Und wie?
Was drückt Tanz aus?