Netzwerktreffen Tanzvermittlung – #1 Access Check

veranstaltet von Access Point Tanz

14.12.2023, 14 – 19 Uhr, Tagungshaus Alte Feuerwache

 

Dokumentation von Johanna Withelm

Wie ist der Status quo des Access im Bereich Tanz(vermittlung)? Was sind good practices, die in den letzten Jahren etwas bewegt haben? Was sind die größten Barrieren und wie können wir sie gemeinsam überwinden? Anhand von institutionellen und künstlerisch-vermittelnden Praktiken wurden diese Fragen im Netzwerktreffen Tanzvermittlung – #1 Access Check diskutiert. Das Treffen bildete den Auftakt zu regelmäßig stattfindenden Netzwerktreffen mit Akteur*innen der Tanzvermittlung sowie allen Interessierten. Die Veranstaltung wurde von der Musikerin, Kuratorin und Theatermacherin Jamila Al-Yousef moderiert und von Nora Haakh grafisch in Echtzeit festgehalten. Der Großteil der Teilnehmenden kam aus dem Bereich Tanzvermittlung, einige außerdem aus den Bereichen Choreografie, Dramaturgie, Produktion, Kuration und kulturelle Bildung. Bei den meisten Teilnehmenden überlappen sich mehrere dieser Tätigkeitsbereiche, alle jedoch sind in der Freien Tanzszene in Berlin tätig.

Teil I: Impulse

 

Impuls von Bahar Meric – Wege in die tänzerische Ausbildung zugänglich machen

Bahar Meric ist Tänzerin, Choreografin und Projektinitiatorin und entwickelt unterschiedliche künstlerisch-edukative Formate und Programme. Sie ist Gründungsmitglied von Future Move e.V., ein Verein, der sich zum Ziel gesetzt hat, Menschen und deren Themen, die bisher im kulturellen Leben ungenügend repräsentiert sind, über und mit Kunst, Tanz und Bewegung sichtbar zu machen. Da sie beim Netzwerktreffen leider nicht persönlich anwesend sein konnte, sprach sie in einer Videobotschaft zu den Teilnehmenden. Sie erzählte von der Pilotphase von Future Move e.V. und über das Mentoringprogramm Future Move – Berufsperspektiven für junge Tanzschaffende. Das Programm richtet sich an junge Menschen ab 16 Jahren aus Berlin und soll die Teilnehmenden vor, während und nach der Tanzausbildung beraten, begleiten und empowern. Innerhalb von sechs Monaten lernen die Programmteilnehmer*innen in verschiedenen Workshops die Werdegänge von Künstler*innen kennen, die selbst aus marginalisierten Kontexten kommen – außerdem besuchen sie verschiedene Tanzinstitutionen und Ausbildungsorte für Tanz. Sie erhalten Wissen über Ausbildungsmöglichkeiten und Finanzierungsformen und werden dazu individuell beraten. Das Programm ist kostenlos und passt sich den Lebensrealitäten der Teilnehmer*innen an. Future Move – Berufsperspektiven für junge Tanzschaffende möchte dazu beitragen, Theater diverser zu machen und Barrieren, Ängste und Hemmungen abzubauen. Es möchte die Teilnehmer*innen darin stärken, eine Tanzausbildung für sich als Option zu erkennen, und außerdem das Wissen von marginalisierten Akteur*innen als Expertise und Qualität anerkennen und in die Institutionen hineintragen.

 

Impuls von Elisa Ricci – Equity als Richtlinie in der Vermittlungsarbeit

Elisa Ricci ist Kuratorin, Dramaturgin und Tanzwissenschaftlerin. Sie konzipiert und co-kuratiert Präsentations- und Austauschformate, sowie Lern- und Vermittlungsräume und versteht kuratorische Praxis und kulturelle Arbeit als kritische und radikal kollektive Praxis. Sie berät institutionelle Transformations- und Veränderungsprozesse mit Fokus auf Gerechtigkeit, Arbeitskulturen und kollektiver Leadership, und ist seit April 2022 Projektleiterin mit Fokus auf Equity-Prozesse bei der Offensive Tanz für junges Publikum. In ihrem Beitrag sprach sie über das Prinzip Equity und wie das Netzwerk Offensive Tanz für Junges Publikum daran arbeitet, dieses Prinzip als Richtlinie umzusetzen: Equity lässt sich in diesem Kontext am ehesten mit dem Begriff Changengerechtigkeit übersetzen, die Offensive Tanz nutzt ihn als Handlungsbegriff und als eine Art Kompass in der Vermittlungsarbeit. In der Arbeit der letzten Monate hat sich gezeigt, dass diese Transformationsprozesse mit Fokus auf Equity, Justice und Access herausfordernd ist und eine machtkritische Reflexion der eigenen Strukturen impliziert. Eine der Erkenntnisse in diesem Prozess war der Faktor der Zeitlichkeit: Die Langsamkeit dieser Prozesse kollidierte mit der notwendigen Dringlichkeit, die Dinge schnell auf den Punkt zu bringen und ernsthafte Veränderungen herbeizuführen. Gleichzeitig herrschte ein Ergebnisdruck gegenüber der Öffentlichkeit und ein hoher zeitlicher Druck durch Förderrichtlinien. Die Frage die sich weiterhin für die Zukunft stellt ist, welche gemeinsame, solidarische Strategien es trotz aktuellen Kürzungen in den Fördertöpfen für einen Erhalt von diskriminierungskritischen Equity-, Justice- und Access-Prozessen geben kann.

 

Impuls von Lucia Matzke – Krump als selbstermächtigende Praxis

Lucia Matzke ist freiberufliche Krump-Tänzerin, Tanzvermittlerin und Choreografin. Sie leitet Tanzprojekte mit dem Schwerpunkt Mädchen*arbeit und interessiert sich für Kulturelle Teilhabe, Chancengleichheit, Anti-Diskriminierungsstrategien und Empowerment. Im Rahmen des Projektes RECONNECT PARTICIPATIVE DANCE – CONNECTING COMMUNITIES arbeitete sie 2022 als associated artist mit Aktion Tanz e.V. In ihrem Impulsvortrag berichtete sie von der Diskrepanz die sie als Krumptänzerin immer wieder erlebt: Einerseits gibt es das Gefühl, dass der Tanzstil Krump in der Kunst- und Kulturlandschaft positiv wahrgenommen wird und Krumptänzer*innen in bestimmten Kontexten „offene Türen einrennen“ – zum Beispiel hat die Arbeit als associated artist mit Aktion Tanz e.V. Lucia Matzke enorm viele Möglichkeiten eröffnet und den Weg in die Professionalität im Tanz geebnet. Andererseits hat sie als Tänzerin ohne formale Bühnentanzausbildung die Erfahrung gemacht, bei Engagements ihre Honorare rechtfertigen zu müssen – und obwohl sie mittlerweile professionell als Tänzerin und Choreografin arbeitet, wurde ihr Antrag bei der Künstlersozialkasse abgelehnt weil Krump nicht als Tanz bzw. nicht als Kunstform anerkannt wurde, sondern im Bereich Pädagogik bzw. Sport eingestuft wurde. Doch wie kann Tanzvermittlung als künstlerische Praxis anerkannt werden – insbesondere wenn es um Tanzstile geht, die nicht der klassischen Kunstdefinition entsprechen? Lucia Matzke schließt passenderweise ihren Beitrag ab mit einer praktischen Krump-Übung die sie für sich selbst und für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen als eine Art Self-Empowerment-Werkzeug nutzt. Und so stampfen die Teilnehmenden angeleitet durch Lucia Matzke auf den Boden, setzen ihre Stimme dabei ein, und testen, wie es sich anfühlt, durch Krump-Bewegungen den eigenen Platz im Raum tänzerisch zu behaupten.

 

Impuls von Hannah Aldinger – Antiableistische Access-Arbeit und der Kampf gegen Cripping Up

Hannah Aldinger ist Access-Koordinatorin und Kunstvermittlerin im Kulturbetrieb und arbeitet sie zu inklusiven Zugängen zu Kunst und Kultur. Ihre Arbeit beruht auf antiableistischem, machtkritischem Denken und der Hinterfragung des geltenden Verständnisses von Norm. Seit Sommer 2022 ist sie an den Sophiensælen für die Koordination von Access und Outreach zuständig. In ihrem Input las Hannah Aldinger den Offenen Brief an das Aachener Das Da Theater vor. Verfasserin des Briefes ist die Performerin, Choreografin, Access-Dramaturgin, und Behindertenrechtsaktivistin Sophia Neises. Anlass war die Inszenierung Die Goldfische, in der ausschließlich nicht behinderte Schauspieler*innen für Charaktere mit Behinderung besetzt wurden. Damit wurde die diskriminierende Praxis des Cripping-up reproduziert, bei der nicht behinderte Menschen behinderte Charaktere spielen und auf stereotypische Weise darstellen. Hannah Aldinger bezeichnet den Brief als ein Zeitdokument für den Kampf, in dem sich behinderte, chronisch kranke und Taube Menschen aktuell befinden. Der Brief zeigt außerdem Möglichkeiten für Handlungsermächtigung auf. Denn Kunstfreiheit ist erst dann ein Argument, wenn sie allen zusteht.

 

Impuls von Diana Thielen – Tanzpraxis als Reflexionsort für gesellschaftliche und verkörperte Normen

Diana Thielen verortet sich als aktivistische Tanzschaffende an den Schnittstellen von Choreografie, Performance und Tanzvermittlung. Sie beschäftigt sich mit körperpolitischen Themen und subjektiven, intimen und inkorporierten Wissensbeständen. Im Netzwerktreffen sprach sie über ihre Unterrichtspraxis in der sie den Körper sowohl aus einer praktischen Perspektive der Bewegungsanalyse als auch aus einer theoretisch-diskursiven Perspektive betrachtet und somatisches Wissen mit kritischen sozialwissenschaftlichen Ansätzen verbindet. Sie erzählte in ihrem Beitrag von ihrer Arbeit mit Contact Improvisation die sie für FLINTA* und/oder queere Personen anbietet, und mit der sie versucht, einen Raum zu schaffen, der intime und biografische Fragen an Körper, Identität, Gender und Sexualität umfasst. Diesen Raum bezeichnet sie als einen Safer Braver Space, in dem Erfahrungen, die durch Diskriminierung oder durch Privilegien entstehen, benannt werden können und die Teilnehmenden die unterschiedlichen Erfahrungen der jeweils Anderen anerkennen. Da die verkörperte Vergeschlechtigung der Einzelnen in Bezug auf Contact Improvisation ein allgegenwärtiger und unumstößlicher Teil der Praxis ist, ist es besonders wichtig, dass die Teilnehmenden sich empathisch und in Solidarität begegnen

Teil II: Offene Diskussion

In der offenen Diskussionsrunde mit allen Anwesenden kam zunächst die Frage auf, die Bahar Meric am Ende ihrer Videobotschaft in den Raum warf: Wie können Diversitätsprozesse in entscheidungstragenden Ebenen mit den betroffenen Menschen gemeinsam gedacht werden und nicht nur für und über sie? Im Gespräch darüber kristallisierten sich zwei mögliche Spuren heraus: Zum Einen das Thema Zeitlichkeit, etwa in der Programmplanung, die meist eine andere als die gewohnte Zeitlichkeit erfordert wenn Prozesse dieser Art ernsthaft angegangen werden sollen. Zum Anderen kam das Thema Power-Sharing auf, etwa indem Leiter*innen eines Projekts jemand anders kuratieren lassen, also ihre Gestaltungs- und Entscheidungsmacht eine Zeit lang an andere Personen „abgeben“ – was jedoch ebenfalls Herausforderungen in Bezug auf Zeit- und Ressourcenplanung ergeben kann. Das führte zu der weiteren Frage, was eigentlich Good Practices sind um nicht in die Selbstausbeutung und Erschöpfung zu geraten. Diese Frage hat die Gruppe länger beschäftigt und unterschiedliche Antwortversuche hervorgebracht. Die simple und naheliegende Antwort heißt ausreichende finanzielle Mittel, darüber waren sich die Anwesenden einig. Da die meisten Budgets in der Freien Szene jedoch damit kalkulieren, dass die Menschen sich verausgaben, ist es wichtig, schon zum Zeitpunkt der Antragstellung die Zeitpläne und Honorare großzügiger zu planen. Abgesehen davon wurde beispielsweise empfohlen, zu Beginn einer Projektphase über gemeinsame Werte zu sprechen und frühzeitig über Ressourcenteilung unter den Beteiligten zu sprechen. Außerdem wurde die Wichtigkeit von gesunden Arbeitsbeziehungen, von Anerkennung und Wertschätzung, von Empathie und Solidarität genannt. Als gut erprobtes Arbeitstool wurden unter anderem sogenannte Check-Ins und Check-Outs unter den Kolleg*innen zum Beginn und Ende jeder Arbeitssession genannt.

Teil III: Austausch in Arbeitsgruppen

 

Identität, Saver Braver Spaces und ihre Grenzen

Die Arbeitsgruppe mit Diana Thielen hat sich vor allem gefragt, wie unsere Identität und mit ihr auch identitätspolitische Fragen die Tanzvermittlung beeinflusst und wo die Grenzen von Identität liegen. Es wurde viel darüber gesprochen, ab wann Identität mit Selbstbezeichnung zusammenhängt (z.B. in klar definierten Räumen wie bei Contact Jams für queere Personen) und ab wann Identität über Zuschreibung von außen funktioniert (z.B. bei Kindern aus marginalisierten Kontexten, die diese Zuschreibungen nicht von sich aus formulieren). Die Gruppe kam zu dem vorläufigen Schluss, dass Identitätsfragen ein wichtiges Analyseinstrument sowie ein politisches Mittel sein können, allerdings ist es wichtig, Identität als etwas zu begreifen, dass beweglich ist und die Selbstbezeichnung voraussetzt.

Es wurde außerdem über den Begriff Saver Braver Space und dessen Grenzen gesprochen. Das Wort saver macht zunächst klar, dass es keinen Raum gibt, der für alle Menschen gleichermaßen sicher ist, wir uns diesem jedoch annähern können. Das Wort braver verweist auf den Mut, die Fehler die wir begehen, anzunehmen und erkennt an, in welchen gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten wir uns bewegen. Der Saver braver space wurde im Lauf des Gesprächs als ein Ort des Lernens, des Zuhörens und der Solidarität definiert.

Umgang mit Ressourcen, Raum für Austausch und Solidarität

Die Arbeitsgruppe mit Hannah Aldinger, Lucia Matzke und Elisa Ricci hat über Zeitlichkeiten, Strukturen und Ressourcenplanung in Projekten sowie über diskriminierungssensible Arbeit in der Tanzvermittlung gesprochen. Zum Thema Zeitlichkeiten stellte sich vorallem die Frage, wie der tatsächliche Bedarf kalkuliert und in Förderanträgen angemessen dargestellt werden kann. Es wurde auch darüber gesprochen, welche Haltung wir in der aktuellen Fördersituation einnehmen können – wie können wir uns einerseits den Raum nehmen den es braucht, und andererseits „kompakt“ werden, das heißt wo können wir Ressourcen sparen, und wo werden z.B. zu viele „Runden gedreht“. Die Gruppe hat außerdem über Ideen und Wünsche an den Access Point Tanz gesprochen, und es kam vermehrt der Gedanke auf, dass es eine Anlaufstelle für alle Akteur*innen der Tanzvermittlung braucht, worüber ein starkes Netzwerk entstehe kann, das Wissensteilung und Austausch fördert. Konkret wurde der Bedarf an Unterstützung und Weiterbildung in den Bereichen Antragstellung, Ressourcenplanung, Lobbyarbeit sowie diskriminierungssensibles Unterrichten genannt. Insbesondere wurde der Raum für Austausch genannt. Ein Beispiel könnten Gruppen sein, die sich gründen um sich über diskriminierungssensible Formen der Vermittlung und des Unterrichtens auszutauschen. Zudem hat die Gruppe über Möglichkeiten solidarischer Arbeitsformen und sozialer Absicherung für freischaffende Akteur*innen und über die notwendige Anerkennung von Akteur*innen ohne akademischen Abschluss gesprochen. Als Good Practice– Beispiel wurde der Broodfond für Selbstständige in den Niederlanden genannt, ein gemeinschaftsbasiertes Solidaritätssystem, bei dem sich eine Gruppe von Menschen gegenseitig im Krankheitsfall unterstützt.

Fazit und Ausblick

Das Netzwerktreffen Tanzvermittlung – #1 Access Check hast sich als ein produktives Moment des gegenseitigen Lernens, des Austauschs, der Vernetzung und der gemeinsamen Produktion von Tanzwissen erwiesen: In der Überzeugung, dass die Reflexion über (gute) Praktiken dazu dient, neue (gute) Praktiken zu entwickeln, möchte Access Point tanz weiterhin solche Momente ermöglichen.  Ein großes Bedürfnis, das sich bei diesem Treffen herauskristallisiert hat, ist das der Solidarität und der Verteilung materieller und immaterieller Ressourcen in einer postpandemischen Zeit von radikalen cuts für die Kultur, extremen Polarisierungen und Erschöpfung. Und in diesem solidarischen Sinne wollen wir für die Zukunft denken und planen.