Bericht über Austausch & Gespräche* mit potentiellen Partne_innen und Kolleg_innen für Access Point Tanz

Dr. Phil. Nora Amin

Für eine aktive Auseinandersetzung mit Stellungnahmen zu dem neuen Konzeptpapier von Access Point Tanz, das im Februar 2022 veröffentlicht worden war, entwickelte Nora Amin eine Reihe von Interviews, die sie zwischen Mai und August 2023 im Rahmen von  Access Point Tanz (unter der Trägerschaft von Zeitgenössischer Tanz Berlin e.V.) durchführte. Zusammen mit verschiedenen Stimmen aus der Tanzszene sollten dabei künftige Möglichkeiten für die Weiterentwicklung, für Partnerschaften und Kollaborationen gemeinsam durchdacht werden. Der folgende Bericht basiert auf dem Querlesen der Interviews, das zu der hier vorliegenden Auswertung der Gedankengängen, der Einschätzungen und Vorschläge führte, die am Ende in ein Fazit kulminiert, das die nächste Phase—die der Umsetzung—von  Access Point Tanz unterstützen soll, die 2024 ihren Anfang nehmen wird.

 

Querlesen / Horizontal Reading

Das Konzeptpapier sowie die Antworten auf Fragen, die speziell für diese Gespräche erstellt wurden, boten die inhaltliche Grundlage für die Interviews bzw. Gespräche. Daraus werden die Sichtweisen und Meinungen sowie die inhaltlichen Interpretationen der Gesprächspartne_innen und Interviewten in vier entscheidende Punkten wie folgt zusammengefasst:

  • Die Evaluierung des Konzepts
  • Möglichkeiten zum Barriereabbau im Bereich der Tanzvermittlung ausfindig machen
  • Vorschläge für konkrete Handlungsmaßnahmen, die die nächste Phase von APT stärken und dazu beitragen können
  • Sich eine zukünftigen Tanzvermittlung ausmalen, die divers, dezentral und transformationsaktiv ist

Das Querlesen dieser Ergebnisse führte zu folgender Auswertung:

 

Die Evaluierung des Konzepts

Die Gesprächspartne_innen bzw. Interviewten drückten ihre Wertschätzung für die umfangreiche Arbeit und den umfassenden Inhalt, der im Konzept sichtbar wird, aus. In einigen Fällen wurde es als gigantisches Werk bezeichnet, als ein rundes und volles Konzept, das alles, was die Tanzvermittlung betrifft, beinhalte; verständlich, rege zum Nachdenken an, klar, zugänglich, absolut beeindruckend und relevant, ein wichtiger Schritt in Richtung wahrer Diversität im Tanz, revolutionär, reich an Perspektiven und Visionen, sensibel und inklusiv. Einige Rückmeldungen befanden, daß das Gesamtkonzept in folgender Hinsicht noch weiter entwickelt werden könne:

  • Das Bestärken eines allgemeinen grundlegenden Motivs/Motivation, warum Menschen überhaupt Tanzen wollen sollten: zum Beispiel seelisches, soziales, emotionales und körperliches Wohlbefinden—sowohl für die Einzelnen als auch für die Gesellschaft
  • Überarbeitung des Titels „Access Point Tanz“ in eine zugänglichere und ansprechendere Variante
  • Konkrete Beispiele von Tanzvermittlung aus dem Kontext von Kollaboration, Ko-Produktion, situatives Lernen, Praxisgemeinschaften/Gemeinschaftspraktiken, welche konkret die dezentrale Perspektive vertreten, vorstellen
  • Benennung der Institutionen und Personen der einzelnen Bereiche sowie Auflistung ihrer jeweiligen Kompetenzen, Zuständigkeitsbereiche und Qualifikationen
  • Hinzunahme möglicher weiterer Partne_innen bzw. Akteur_innen aus Bereichen des Gesellschaftstanzes (zum Beispiel Volkstanz in Clubs, Tanzverbände von Folkloretänzen und Volkstänzen) sowie der Sportverbände
  • Mehr Fokus auf die konkrete Beratungsarbeit legen und anstatt „Schule für Alle“ einen anderen Titel finden, denn der Titel sollte Veranstaltungen ausdrücken, die in erster Linie auf Tanzvermittelnde abzielen
  • Die Verknüpfungen mit nationalen und internationalen Netzwerken in Bezug zu Tanzvermittlung noch weiter erkunden

Möglichkeiten zum Barriereabbau im Bereich der Tanzvermittlung ausfindig machen 

Es gab auffallend vielfältige Rückmeldungen zu möglichen Strategien zum Abbau von Barrieren im Bereich der Tanzvermittlung—ob sie nun bestätigenden Zuspruch zum vorgelegten Konzept zeigten oder darüber hinausgingen. Daher fassen wir die meisten Aussagen dazu komprimiert wie folgt zusammen:

  • Diskriminierung und Marginalisierung sowie Hierarchien als tatsächlich existent anzuerkennen, führt zu einer Vision von sozialem Wandel  bei dem diese Barrieren strategisch aufgegeben werden. Um allerdings diese ersehnte Veränderung in den Institutionen tatsächlich durchzusetzen, muss die Tanzvermittlung einen viel höheren Stellenwert (Anerkennung und Macht) haben; ebenso muss Tanzvermittlung hierfür als Medium für Heilung von sozio-politischen Konflikten und Wunden adressiert werden.
  • Fokus auf die Idee einer mobilen Tanzplattform in einem sensiblen und sinnvollen Rahmen legen, die in der ganzen Stadt kursiert, sowie den Zugang zu Gesellschaftstanz als bereichernde Aktivität in Richtung tatsächlicher Praxis von Vielfalt ermöglichen.
  • Ein multidisziplinärer, machtkritischer und radikal vielfältiger Ansatz kann die Blockaden und Schwierigkeiten im Kreislauf der Tanzvermittlung reduzieren.
  • Eine umfassende Bewusstseinsveränderung dessen, was zeitgenössischer Tanz sein kann, anstreben, und somit über Formen, die über den zeitgenössischen Tanz hinausgehen, die Inhalte des Tanzdiskurses noch vielfältiger gestalten; darüber die Künstle_innen ermächtigen, ihre Kunstform selber zu definieren und zu benennen.
  • Mit Institutionen der „Hochkultur“ kollaborieren und diese auf eine Art einbeziehen, daß eine Veränderung der ihnen innewohnenden Visionen angeregt wird.
  • Die digitale Landkarte der Berliner Tanzvermittlung ist eine großartige Idee. Vor allem, wenn sie kreativ gestaltet würde, so daß Menschen Lust bekämen, so eine Landkarte spielerisch und bildlich zu erkundschaften anstatt sehr viel Text lesen zu müssen. Besonders für die junge Generation aus diversitätsreichen Stadtbezirken wäre es ein tolles Werkzeug, um einen alternativen Zugang zu bekommen.
  • Kontinuität und Nachhaltigkeit finanzieller Unterstützungsstrukturen im Berliner Kunstsektor, so daß Künstle_innen ohne ständige Unterbrechungen ihre Karriere auf dem aufbauen können, woran sie künstlerisch arbeiten. Verbesserungen im Austausch, in der Kommunikation und im Netzwerken zwischen Theatern und Kunstzentren innerhalb Deutschlands könnte ein Schritt sein, Interessen und Sichtbarkeit der Künstle_innen untereinander zu verbinden.
  • Diversität in Führungspositionen mit unvoreingenommenen Blick, Wissen, Erfahrung,  Handwerk, praktischer und tatsächlich gemachter Erfahrung, nicht nur an Menschen mit hohem Bildungsabschluss gerichtet, sondern auch auf jene, die von der Szene und der Öffentlichkeit respektiert und geschätzt werden.
  • Es muss mehr Programme geben, die sich an Menschen mit geistigen und körperlichen Einschränkungen richten, so daß auch diese Mitmenschen als Tanzvermittle_innen ausgebildet werden können, und dadurch die Möglichkeiten von tatsächlicher Inklusion für alle maßgeblichen Gesellschaftsgruppen und Identitäten erweitert werden kann.
  • Die Bereiche Bildung und Weiterbildung bergen großes Potenzial für Inklusion,  besonders mit dem Titel „Schule für Alle“, der anregt, Bildung von einer dezentralen Perspektive aus zu gestalten, und weniger privilegierte Bewerbe_innen anzusprechen.  Partizipativ angelegt kann die „Schule für Alle“ eine Plattform für das Lernen in diversen Umgebungen werden.
  • Die in Workshops verwandelnde Netzwerktreffen, die praktisches und verkörpertes Wissen integrieren, könnten einen massiven Einfluß haben, besonders wenn es gut angeleitete Räume sind, in denen jene, die von den Barrieren betroffen werden, mit den Expert_innen gemeinsam zusammen denken können.
  • Die Netzwerktreffen können eine Art „Tun & Teilen“ für kollegialen Austausch und gemeinsames Lernen werden, bei denen Themenbereiche überlappen können; dabei wäre gut, wenn jede Veranstaltung von jeweils einer anderen Person kuratiert würde, so daß auch dies eine Diversitäts- und Inklusions-Praktik wird.

Vorschläge für konkrete Handlungsmaßnahmen, die die nächste Phase von APT stärken und dazu beitragen können

Die von den Gesprächspartne_innen und Interviewten geäußerten Rückmeldungen und Vorschläge für Handlungsmaßnahmen entpuppten sich als reiche Quelle für zukünftige mögliche Partnerschaften und Kollaborationen. Im Folgenden listen wir lediglich eine kleine Auswahl an Exzerpten von dem immensen und großzügigen Angebot, daß uns gemacht wurde:

  • Ich träume von einer Veranstaltung, bei der Tanzvermittlung mit Blick auf sozialen Wandel diskutiert werden wird: Was kann Tanzvermittlung zum sozialen Wandel beitragen? Warum wird der heilende Aspekt von Tanz noch immer der Tanzvermittlung, die auf den künstlerischen Aspekt von Tanz abzielt, als minderwertig unterstellt? Möglicherweise könnte diese Thematik in der „Schule für Alle“ behandelt werden oder auch in einer Onlinegruppendiskussion auf der neuen Plattform?  Es könnte ein großes Zusammenkommen aller aktiven Tanzvermittle_innen werden, ein offener Ort, ein Think Tank, ein Ritual um uns als starke Kraft mit gemeinsamen Ziel zu verbinden. Daraus könnten wir Ideen entwickeln, wie unterschiedliche Arbeitsgruppen diese gemeinsame Grundlage in unterschiedliche Handlungsorte tragen und dort auch einbringen: Schulen, Veranstaltungsorte, Universitäten, Kitas, Gemeinden. Möglicherweise würde das die Entstehung eines Netzwerkes entfachen, das sich für gemeinschaftliche kollektive Orte einsetzt, wo auch selbstständige, freie Tanzvermittelnde arbeiten könnten. Ich würde liebend gerne zur Entwicklung einer solchen Veranstaltung beitragen, die ein bedeutender Anfang für unterschiedliche Akteur_innen mit gemeinsamer Basis sein könnte. (Amelie Mallmann, Tanzvermittlerin)
  • An einigen Stellen hätte ich mir mehr Erwähnung bereits gesammelter Expertise sowie von bereits laufenden Projekten in Berlin gewünscht. Gleichermaßen würde ich vorschlagen, anstatt daß APT seine eigenen Projekte für Geflüchteten-Unterkünfte macht, an Wissenstransfer in diesem Bereich zu arbeiten und die Organisationen noch mehr einzubeziehen, die diese Arbeit bereits seit vielen Jahren erfolgreich machen. (Martina Kessel, Aktion Tanz)
  • Ich denke, dass die gute Einrichtung und Einrichtung der Koordinierungsstelle ganz zentral ist. Ich denke, dass eine ressortübergreifende Umsetzung an der Schnittstelle von Kultur, Bildung und Stadtentwicklung interessant sein könnte. Das Konzept sollte auf eine Auswahl spezifischer sozialer Räume abzielen, in denen die zugrunde liegenden Ansätze diversifiziert werden können. Die Umsetzung sollte an Knotenpunkten mit multidisziplinären Teams erfolgen. Angebote sollten weniger nach Projektlogik gestaltet werden, sondern es müssten Prozesse in Gang gesetzt werden, die in den kommenden Jahren unterstützt würden. Ich kann mir vorstellen, dass Berlin Mondiale als transkulturelles Netzwerk und als Netzwerk, das partizipative Räume schafft, als Vermittler und Moderator Teil des Prozesses sein kann. Im gegenseitigen Austausch können wir Erfahrungen austauschen, abteilungsübergreifende Synergien schaffen und zeitgemäße Strategien entwerfen. (Sabine Kroner, Leitung BERLIN MONDIALE, Projektbüro cIo Kulturnetzwerk Neukölln e.V.)
  • Ich bin offen dafür, in neuen und anderen Formen von Öffentlichkeitsarbeit, Forschung etc. zu interagieren und diese mit zu entwerfen. Ich kann institutionelle Kooperation auf Landesebene (Niedersachsen) mit der Universität Hochschule für Künste im Sozialen, Ottersberg, an der ich lehre, anbieten. Unser BA-Programm hat kürzlich damit begonnen, den regulären BA-Abschluß für Studierende mit geistigen Einschränkungen anzubieten. Wir befinden uns damit in einem erprobenden Experiment und suchen selber ebenfalls nach Möglichkeiten des Erfahrungsaustauschens und Verbindungen knüpfens. In Berlin kann ich eine Kooperation mit TANZSCOUT anbieten. (Maren Witte, Tanzscout, Professorin an der Hochschule für Künste im Sozialen, Ottersberg)
  • Hinsichtlich Workshops und Performances: Die Tanz- und Teilhabewoche ist eine beliebte Veranstaltung, an der ich mich sehr gerne beteiligen würde, sowohl in der Planung als auch bei der Umsetzung. Es ist diese Art des Sichtbarmachens, das seit den 1990er Jahren eigentlich fehlt: Damals gab es wenigstens so etwas wie eine interkulturelle Woche. Eine Veranstaltung mit so einem Schwerpunkt ist ein absolutes Muss. (Rajyashree Ramesh, Choreograph und Tanzlehrer)
  • Wir sind an langfristigen Partnerschaften und dem Konzept des “Gastgebens” interessiert. Wir können uns vorstellen, zu allen drei Säulen des Konzeptes beizutragen und auch um eine weitere zu ergänzen: Wir schlagen vor, eine vierte Säule mit Titel “Politik, Gesellschaft und Netzwerke” hinzuzunehmen. Denn einerseits beschreibt das Konzept den Idealzustand für Access Point Tanz, den es eben noch zu erreichen gilt, und wofür eine Menge Lobbyarbeit erfolgen sollte. Andererseits ist die Rolle der Tanzvermittlung in ihrem Potential, Kultur und Bildung zu transformieren, noch nicht ausreichend anerkannt. Des weiteren: Welche neue Narrative hat die Kunst anzubieten, nicht nur für ihre eigene Wandlung, sondern auch als Beitrag zu einer gerechteren und nachhaltigeren Welt? Kann die Kunst sich dieser Frage noch entziehen? Welche Rolle könnte die Tanzvermittlung hierbei spielen? Jetzt, da sich Bildung repositioniert im Zuge von Global Goals Curriculum, von 21st Century Skills und weitere; und jetzt, da neue und gerechtere Wirtschafts- und Nachhaltigkeitskonzepte interdisziplinärer werden, sehe ich die darstellenden Künste in einer Identitätskrise. Daher ist eine neue Narrative der darstellenden Künste notwendig, um sie den Menschen gegenüber relevanter zu machen und sie mit den vielen Herausforderungen unserer Zeit zu verbinden. Daher—unter Berücksichtigung aller Diskrepanzen—brauchen wir ein multi-perspektivisches, vielschichtiges Netzwerk sowie interne und externe politische Lobbyarbeit, um nicht in einer winzigen Blase zu verkümmern. (Livia Patrizi, TanzZeit & Tanzkomplizen)
  • Kürzlich begann das kleine Team „urbandanceberlin“ (angeleitet von Tatjana Mahlke) eine Initiative, alle Leite_innen bzw. Organisato_innen der freien Tanzsessions der Urban Dance Szene in Berlin wieder zusammenzubringen, mit der Absicht, sich über die Bedürfnisse der Sessions, Logistik, die Schwierigkeiten hinsichtlich Diskriminierung und Respekt, wie die Kultur für die neuen Generationen erhalten werden kann, usw. auszutauschen. Die Frage, wie wir uns innerhalb der Berliner zeitgenössischen Kunst- und  Tanzszene aufstellen wollen, war ebenso Thema, wie die Frage, in wie fern das für uns ein Vorteil sein könnte oder nicht. Hier sehe ich eine starke Gemeinsamkeit mit dem APT Konzept. Und ich meine, daß dieser Anknüpfungspunkt eine Brücke hin genau zu diesem Gespräch sein kann. Ein Treffen zwischen den beiden Gruppen  urbandanceberlin und dem Tanzvermittlungsteam von APT könnte ein sehr fruchtbarer Anfang für einen Austausch über weitere zusammenführende Entwicklungen werden.  (Joy Alpuerto Ritter, Choreograph und Tänzer )
  • Die Schulen „schlagen“ sich regelrecht um künstlerische Tanzangebote, die werden weiterhin dringend benötigt—vermehrt noch seit der Pandemie—aber auch bereits davor, da der „normale Schulsport“ schon seit geraumer Zeit nicht mehr in der Lage war, die Bedürfnisse nach Bewegung ausreichend zu befriedigen. Der Ruf nach mehr Bewegung für Kinder und junge Menschen hat auch die politische Ebene erreicht und wird dort immer stärker. Kreativität, Selbstbestimmung sowie soziales Verhalten in der Gruppe kann besonders effektiv in künstlerischen Tanzprojekten trainiert werden. Um jedoch ein solches Projekt an einer Schule anbieten zu können, muss im Normalfall erst einmal Geld dafür generiert werden oder die Schulverbände müssen von der Idee überzeugt werden. Diese Überzeugungsarbeit fordert Ressourcen und Energie und kann oft nur aufgrund von zusätzlicher Arbeit der Lehrkräfte und Tanzvermittelnden umgesetzt werden, die bereit sind sich über ihre eigentliche Arbeit hinaus zu engagieren. Daher sollten Finanzierungsstrukturen dahingehend verändert werden, daß künstlerische Tanzprojekte in Schulen und anderen Institutionen, wie etwa Gefängnisse, durchgeführt werden können, indem diese Institutionen mit einem Budget speziell für tanzpädagogische Projekte—auch in unterschiedlichen Formaten—ausgestattet werden, mit dem die Tanzvermittelnden von “außerhalb” entlohnt werden können. Das würde erlauben, daß Tanz in den Schulen nicht als Fach im regulären Schulbetrieb untergebracht werden müsste sondern als reguläres Projektangebot ohne Bewertung und Benotung angeboten werden könnte. Das würde automatisch das Wissen und Verständnis für zeitgenössischen Tanz in all seiner Diversität höchstmöglich steigern. Das wiederum könnte von Vorteil für die professionelle Tanzszene sein, da sich bestenfalls ein interessiertes Publikum entwickeln würde, und Tanz so in der Schulbildung  sinnvoll integriert werden könnte.   (Nadja Raszewski, TanzTangente)
  • Weiterbildungen und Fortbildungen sind dringend notwendig, es ist gut, darüber nachzudenken, auch längere Kurse anzubieten, da die kurzen Workshops nur der Informationsvermittlung dienen, aber für die Festigung und Weiterentwicklung des erworbenen Wissens, beispielsweise im Bereich des Verfassens von Förderanträgen, durchaus längere Zeit benötigt wird und die dafür erforderlichen Fähigkeiten zu entwickeln. (Natalie Riedelsheimer, Grupo Oito)
  • Als Teil unseres Mentorenprogramms beschäftigt sich Future Move e.V.  bereits seit über drei Jahren intensiv mit der Thematik Ausbildung und Weiterbildung für Menschen aus marginalisierten Bereichen. In meiner persönlichen Arbeit entwickele ich Formate und Programme in diesen Bereichen. Ich kann mir vorstellen, mich bei der Entwicklung von Konzepten im Bereich Urban Dance in beratender Funktion* einzubringen. (Bahar Meric, Future Move e.V.)
    *Bei der Übersetzung und Kürzung des Zitats von Bahar Meric ist in dem gelb markierten Satz ein Fehler aufgetreten. Der Originaltext von Bahar Meric lautet:
    Im Rahmen unseres Mentoringprogramms beschäftigen wir Future Move e. V. uns bereits seit über drei Jahren intensiv mit den Themen Aus- und Weiterbildung für Menschen aus marginalisierten Kontexten. In meiner persönlichen Arbeit entwickle ich Formate und Programm in diesen Bereichen. Ich kann mir auch vorstellen Formate für den Bereich Stadtgesellschaft mit zu entwickeln, beratend zur Seite zu stehen.
  • Wir bei Berlin Mondiale haben bereits mit APT zusammen gearbeitet: Im September 2021 waren wir im Rahmen des Wasserwerk-Programms Gastgebende für eine Veranstaltung zu dezentralisierten Ansätzen. Wir sind offen dafür, weitere Events zum Thema Netzwerken bei uns zu veranstalten. Wir sind auch daran interessiert, Möglichkeiten auszuloten, wie wir unsere Bildungs- und Forschungsprogramme mit den Bildungs- und Weiterbildungsprogrammen sowie dem Forschungsbereich von APT –wie im Konzeptpapier angelegt—verknüpfen könnten. (Laura Werres, Berlin Mondiale)

Die Vorstellung einer zukünftigen Tanzvermittlung, die divers, dezentral und transformationsaktiv ist

Hinsichtlich dieses Punktes hatten die Gesprächspartne_innen bzw. Interviewten ein weites Spektrum an Ideen und Vorstellungen geäußert, von dem wir nur einige wenige hier auflisten:

  • Ich möchte mich ungern von dem Gedanken trennen, daß Tanz und seine Vermittlung sich weiterhin mit dem menschlichen Leben verbinden—mit der digitalen Welt spielen, ja, aber stark verwurzelt bleiben in der Wirklichkeit und im gegenwärtigen Moment.    (Lola Agostini, Tanzfähig, Kuyum Dance Platform)
  • Ich wünsche mir in jedem Bezirk in jedem Kiez einen Ort, der offen für Tanzbildung und -vermittlung ist. Es müssen keine neuen Orte sein, sondern Orte, die multifunktional genutzt werden können. Ich würde Tanzpädagogik im öffentlichen Raum gerne als aktivistische Strategie sehen. Ich möchte, dass die Ansätze und Methoden so vielfältig sind wie die Berliner Stadtgesellschaft. Ich hoffe, dass wir uns gemeinsam bewegen und eine Bewegung werden. Ich hoffe, dass wir der Spaltung innerhalb und außerhalb Berlins entgegenwirken können und ein Projekt nicht einfach irgendwo in die vermeintliche Peripherie verlagern. Ich wünsche mir, dass wir verstehen, dass die Ränder der Stadt auch das Zentrum der Menschen sind und dass es für alle gleiche Bedingungen für Selbstverwirklichung und Teilhabe geben sollte. Als Projektkoordinator der Berlin Mondiale konnte ich mehrere Teile der Arbeit sowohl mental als auch praktisch sofort aufgreifen und würde mich freuen, wenn das in naher Zukunft tatsächlich passieren würde: Wissensvermittlung. Strategiebildung, kulturpolitische Aktivitäten/Lobbyismus, Gestaltung belastbarer Förderstrukturen, stadtweite, ressortübergreifende Strukturbildung, Räume schützen und neue Orte schaffen. (Sabine Kroner, Leitung BERLIN MONDIALE, Projektbüro cIo Kulturnetzwerk Neukölln e.V.)
  • Es gibt noch viel zu tun für die Vielfalt im Tanz, insbesondere im Hinblick auf das Thema Barrierefreiheit, für das noch mehr Bewusstsein geschaffen werden muss, bis wir uns daran gewöhnt haben, es durch die Erstellung und Organisation von Veranstaltungen in unser Denken einzubeziehen. (Natalie Riedelsheimer, Grupo Oito)
  • Ich finde, daß Tanzvermittlung alle Bereiche beinhalten muss, und daß wir, um Partnerschaften einzugehen, außerhalb der Reihe denken müssen und sehr vorsichtig und Projekt-spezifisch schauen müssen, auch wenn das langwierige Prozesse bedeutet. Ich würde gerne eine Tanzvermittlung erleben, die die Faktoren Individuen, Gruppen, jene die betroffen sind, und Akteur_innen in den Kontext des sozialen Wandels, Berlin und „der Rest von Deutschland“ stellt, das bedeutet, bedürfnisorientierter zu agieren und vielschichtige, multiple Perspektiven zulassen. Außerdem wünsche ich mir für die Tanzvermittlung, daß sie ein positiveres und wertvolleres Image bekäme, und für ihre Effektivität, ihre Stärke und ihr künstlerisches und pädagogisches Potential ebenso wertgeschätzt und sichtbar würde.  (Bahar Meric, Future Moves e.V.)
  • Um zwischen Diversität und dem Abbau  hierarchischer Strukturen in der Arbeitskultur zu unterscheiden, müssen wir klare und konkrete strukturelle Ideen vorschlagen. Sich auf Diversität zu stürzen ist eine Sache; eine ganz andere Sache aber ist es, die Hierarchien in der Arbeitskultur verändern zu wollen. In diesem Sinne führt der Wunsch ALLE einbeziehen zu wollen zu Ungenauigkeit, es ist unmöglich mit allen zu beginnen, daher müssen wir unsere Schritte priorisieren. Diese Prioritäten müssen abgeklärt und transparent gemacht werden. (Martina Kessel, Aktion Tanz)
  • Ich vermisse einen Raum für alle Beteiligten bei Access Point Tanz, um das Netzwerk auch aus einer diskursiven, als Geisteshaltung einnehmenden Perspektive heraus zu begreifen, es gemeinsam dahingehend zu reflektieren und sich darüber auszutauschen. Auf welchen Werten baut sich APT auf, welche Ethik vertritt APT über individuelle Erfahrungen und Praktiken hinaus, was inspiriert das Netzwerk? Diese  sind auch sehr wichtig. Ich kann mir vorstellen, daß es eine virtuelle oder analoge Bibliothek gebe, die wichtige Texte, Zitate, Schriften beherbergt bzw. bereithält und auch ein Ort für kollaboratives Schreiben sein könnte. (Nina Hänel, Professorin, Zentrum für Zeitgenössischen Tanz, Hochschule für Musik und Tanz Köln)
  • Es wäre im Laufe Zeit schön zu sehen, daß sich Diversität zu einer Selbstverständlichkeit entwickelt. Mit einfachem Zugang und Sichtbarkeit bei regulären Veranstaltungen, Bildungsstätten und Trainingsorten, im Austausch um eine Kontinuität zu schaffen, und damit stärkere Netzwerke und Chancen. Einen Weg finden, um einander zu inspirieren anstelle des Gefühls, daß wir alle in ewigem Konkurrenzkampf um Gelder und Berühmtheit ringen. Wir wissen, daß Fördergelder und Budgets begrenzt vorhanden sind, und daß es aber viele viele Künstle_innen und Tänze_innen in Berlin gibt. Wenn wir nun aber Plattformen und Orte für transdisziplinäre Tanzgenres schaffen wo wir voneinander lernen können, werden wir automatisch mehr Verständnis, Inspiration, und Unterstützung für einander gewinnen. Und das ist die Stärke der Stadt Berlin.  (Joy Alpuerto Ritter, Choreograph und Tänzer)    
  • Tanzvermittlung mit kritischem Ansatz zu Diskriminierung hat nicht nur das Potential, die Kunstwelt zu transformieren, sondern auch das Bildungssystem. Das Bildungssystem mit zukunftsweisenden Kompetenzen auszustatten ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft, weil unser aller Zukunft davon abhängt, wie junge Generationen aufwachsen: Diskriminierungs-kritisch, kreativ, kommunikativ, kollaborierend, und systemisch denkend. Es gibt bereits innovative Konzepte in der Bildung, die zu einer Bewegung heranwachsen, entfacht durch das Netzwerken der Beteiligten. Eine stärkere Verbindung von Tanzpädagogik/Tanzunterricht mit diesen innovativen Bildungsbewegungen und zukunftsweisenden pädagogischen Konzepten wäre sehr wünschenswert. (Livia Patrizi, TanzZeit, Tanzkomplizen)
  • Mir gefällt die Idee, die Randgebiete der Stadt zu betreuen: In Karlshorst arbeite ich bereits. Lassen Sie mich die verbindende Partnerin zu diesem kleinen Element Peripherie sein! (Maren Witte, Tanzscout, Professorin an der Hochschule für Künste im Sozialen)
  • Das Verständnis, was Tanzvermittlung ist, müsste sich in der Zukunft radikal verändern: Noch wird Tanzvermittlung als ein „Extrateil“ oder als Maßnahme um Hörsäle zu füllen verstanden. Aber die Stärke der Tanzvermittlung liegt eigentlich in den Bereichen Diversität, Dezentralisierung und Transformation; sie liegt in der Chance, Gruppen zu gründen, zu Frieden und Gesundheit beizutragen und zu einem umfassenderen Verständnis von Bewegung und Tanz. Vielleicht bedarf es einer großen Werbekampagne von einem zukünftigen Tanzvermittlungsbüro, die ganz neue, andere Angebote an die Außenbezirke, an Institutionen, an Firmen, usw. anbieten wird.  (Amelie Mallmann, Tanzvermittlerin)    

Fazit

Access Point Tanz gewinnt seine Stärke und Reichhaltigkeit aus dem Input, den Anregungen und Beiträgen aller Tanzvermittelnden. Das Erschaffen einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit allen Akteu_innen auf einer regulären und konstruktiven Basis, führt möglicherweise zu einer verstärkenden Entwicklung der Szene, weil sie daraus als miteinander verbunden, inklusiv und kollaborierend hervortreten würde.  Dieser Bericht gewährt lediglich einen Einblick in die Beiträge der Interviewten  25 Gesprächspartne_innen; fast alle Interviews sind aber schriftlich erfasst und stehen im Archiv für die zukünftige Entwicklung und Durchführung des Projekts ab 2024 als  wesentliche Quelle zur Verfügung. Im Verlauf der Gespräche wurde sehr deutlich, daß ein tatsächlicher Bedarf für ein Projekt wie Access Point Tanz vorhanden ist, da es das Potential in sich trägt, als Brücke zwischen allen bereits bestehenden Angeboten und bereits vorhandenem Wissen zu fungieren und dadurch—eben über den Austausch und die Verbündung—alle in ihrer Handlungsmacht zu stärken und dabei auch eine neue transformative Kraft des Tanzes anzutreiben, sofern es Möglichkeiten der Dezentralisierung erschließt, Zugang zu marginalisierten Formen und Praktiken anbieten, diskursive Ansätze aus anti-diskriminierender Perspektive entwickeln, Forschung und Tanzpädagogik unterstützen, wo die vormals ausgeschlossenen Tanzenden zu Expert_innen werden, Forschungs- und Ausbildungsmöglichkeiten ausarbeiten, die der sozialen und kulturellen Vielfalt Berlins gerecht werden, den Tanz in den verschiedenen Kiezen—und durch die Kiezbewohnenden—auch in nicht-künstlerische Orte verbreiten, die Jugendlichen durch ihre eigenen Tanzweisen und Tanz an Schulen ermächtigen, im Namen einer zukünftigen Generation, die sich relevanten sozio-politischen Herausforderungen zu stellen wissen wird, und—schlussendlich—die Bedeutung von Tanz an sich auszuweiten, Tanz als wesentliche Kraft—als Lobby—für sozialen Wandel und Heilung anzusehen.

Jeder Bereich des Konzeptpapiers—veröffentlicht im Februar 2022 —kann bis Ende 2023 weiterhin mit und durch Begegnungen, Workshops und Gespräche gefüttert und  entwickelt werden, so daß ein kollektives Gefühl von Partizipation, Beitragen und Leitung übernehmen mit der kommenden Tätigkeit von APT entsteht. Während des Lesens und wiederholter Lektüre der Interviews tauchte der wiederkehrende Gedanke auf, daß die Szene bereits reich an fantastischen Initiativen und Projekten ist, und daß die transformative Kraft, die sich entwickeln kann, wenn alles sich verbindet und aufeinander aufbaut, ein noch nie da gewesenes Ausmaß annehmen würde. In dem Augenblick würde es aussehen, als hätte APT die Veränderung der Tanzvermittlung vermitteln können—eine Veränderung genau im richtigen sozio-politischen Augenblick, eine Veränderung wie etwa: Tanzvermittlung, die sich ihrer eigenen transformativen Veränderungsmacht eben durch die Allianz aller Akteur_innen bewusst wird, und durch das Aufklären aller Diskriminierung und Ausgrenzung, die bisher ihr Wachstum und ihre Kraft gehemmt hatten.

Der Prozess für die Durchführung der nächsten Pilotphase von Access Point Tanz ist noch im Werden, die Gespräche, der Austausch und die Weiterentwicklung sind noch im Gange. Der offene Zugang, Partizipation und der kollaborative Ansatz dieses Projekts sind zu Zeichen seiner Identität geworden.

 

Berlin, den 31. August 2023

Dr. phil. Nora Amin

 

* Die Gesprächspartne_innen waren unter anderen: Lola Agostini, Joy Alpuerto Ritter, An Boekman, Christa Flaig-Isaacs, Nina Hänel, Martina Kessel, Sabine Kroner, Amelie Mallmann, Bahar Meric, Natalie Riedelsheimer, Livia Patrizi, Rajyashree Ramesh, Nadja Raszewki, Sven Seeger, Diana Thielen, Laura Werres and Maren Witte.

Translated by Dr. phil. Lina Tegtmeyer