Auswertung der Online-Umfrage zur Konzeptionsphase des Berliner Tanzvermittlungszentrums

Melisa Bel Adasme

Gestaltung und Durchführung der Umfrage

Ziel der Online-Umfrage war es, herauszufinden, welche Erwartungen, Meinungen, Erfahrungen und Wünsche tanzinteressierte Menschen in Berlin in Bezug auf Tanzvermittlung haben – sowohl auf Tanzvermittlungsarbeit im Allgemeinen als auch auf ein Tanzvermittlungszentrum im Speziellen.

Dafür wurde ein Online-Fragebogen mit insgesamt 34 Fragen entwickelt, die in folgende voneinander unabhängige Bereiche oder Abschnitte unterteilt wurden:

  1. Allgemeines zu Tanzvermittlung
  2. Akteur*innen innerhalb der Tanzvermittlung
  3. Durchführung eigener Formate der Tanzvermittlung
  4. Teilnahme an Formaten der Tanzvermittlung
  5. Inklusion und Barrierefreiheit
  6. Förderstrukturen der Tanzvermittlung
  7. Vision für ein Berliner Tanzvermittlungszentrum
  8. Soziodemografische Angaben

Die Auswahl der Fragen sowie der Aufbau der Umfrage wurden vom begleitenden Team der Konzeptionsphase mitgestaltet. Dabei legten wir großen Wert auf eine inklusive und barrierefreie Gestaltung. Ein wichtiger Aspekt war die Verwendung einer inklusiven, diskriminierungsfreien und gendergerechten Sprache. Die Umfrage wurde in zwei Sprachen angeboten (Deutsch und Englisch), gleichzeitig wurde eine Übersetzung in Gebärdensprache in Videoform eigebetet. Damit so viele Menschen wie möglich unabhängig von Fähigkeiten oder Behinderung teilnehmen konnten, wurde die Umfrage auch in Leichter Sprache angeboten. Aufgrund der Informationsreduktion, die eine Übersetzung in Leichte Sprache immer mit sich bringt, musste dafür eine getrennte Umfrage entwickelt werden, die aus zehn Fragen bestand. Grundsätzlich achteten wir auf eine einfache Gestaltung und Bedienung (einfache, verständliche Fragen, übersichtliches Layout, kontrastreiche und angenehme Farben, etc.) sowie auf eine angemessene Länge bzw. Dauer (das Ausfüllen nahm ungefähr 10-15 Minuten in Anspruch).

 

Die Umfrage bestand aus Fragen mit vorgegeben Optionen zum Anklicken sowie aus offenen Fragen zum freien Antworten. Die vorgegebenen Optionen waren nur als Vorschläge angedacht und sollten lediglich mögliche Antworten zeigen und zum Ergänzen weiterer Möglichkeiten anregen. Für alle inhaltlichen Fragen gab es die Möglichkeit, eine Antwort als Video hochzuladen. Dies sollte vor allem Menschen, die Gebärdensprache sprechen, ermöglichen, sich angemessen zu beteiligen. Einige Fragen boten zudem die Möglichkeit, eigene Antworten in Form von Text, Bild, Audio und Video hochzuladen. Die Umfrage lief insgesamt drei Wochen (11.02.-03.03.2021). Die Teilnahme war freiwillig, alle Daten wurden anonym erhoben, könnten den Personen nicht zugeordnet werden und wurden streng vertraulich behandelt.

 

Die Umfrage wurde per E-Mail an unterschiedliche Netzwerke geschickt, auf mehreren Webseiten gepostet und über Social Media beworben. Insgesamt haben 273 Teilnehmende die Hauptumfrage beantwortet (197 auf Deutsch und 76 auf Englisch), allerdings nur 96 komplett abgeschlossen. Die Umfrage in Leichter Sprache wurde von insgesamt 28 Teilnehmenden begonnen und letztendlich von 13 komplett abgeschlossen.

Auswertung der erhobenen Daten

Die Teilnehmenden

Beide Umfragen wurden überwiegend von Frauen beantwortet (75 Prozent bei der Hauptumfrage und 67 Prozent Leichte Sprache). Die große Mehrheit der Teilnehmenden ist zwischen 30-49 Jahre alt (68 Prozent), wohnt und arbeitet in Berlin (81 bzw. 77 Prozent) und hat einen abgeschlossenen Studienabschluss (72 Prozent). Fast alle Befragten sprechen Deutsch oder Englisch (94 bzw. 93 Prozent). Über 65 Prozent der Teilnehmenden geben an, von Diskriminierungserfahrungen betroffen zu sein, darunter 46 Prozent aufgrund des Geschlechts sowie jeweils ca. 16 Prozent aufgrund des Alters sowie der sozialen Herkunft und / oder des Bildungshintergrunds.

 

Allgemeines zu Tanzvermittlung

Die Meinungen über die Bedeutung des Begriffs „Vermittlung“ (in Bezug auf Tanz) waren relativ ausgeglichen: Über 80 Prozent der Befragten verstehen Vermittlung als kulturelle Bildung, gefolgt von „Vermittlung“ als Tanzpädagogik (68 Prozent), Begleitungsveranstaltung vor oder nach einem Tanzstück (65 Prozent) und Künstlerisches Arbeiten (61 Prozent). Weitere Bedeutungen des Begriffs Tanzvermittlung aus den freien Antwortfeldern bezogen sich u.a. auf die Arbeit mit dem Körper, Selbsterfahrung mit Tanz und Bewegung, Zugänglichmachung von tanzkünstlerischen Inhalten, Brücke/Austausch zwischen Kunstschaffenden und Publikum,

Tanzvermittlung ist für mich ein Oberbegriff für mehrere Tätigkeiten im Bereich Tanz und Kultur. Tanzvermittlung ist zuerst Körper und Bewegung. Tanzvermittlung ist alles, was ein besseres Verständnis für den Tanz erzeugt, und macht den Bereich allen Menschen zugänglicher, indem aller Art der Vermittlung eine Brücke zwischen der Erfahrung Tanz und dem Menschenleben schafft. (Zitat aus der Umfrage)

Zu den bekannten/sinnvollen Tanzvermittlungsformaten wurden folgende u.a. genannt: Feedbackrunden nach Vorstellungen, Artist-Talks mit Zuschauer*innen, Workshops, Publikumsgespräch, Vor- und nachbereitende Formate bei einer Vorstellung, Schulprojekte und Tanzprojekte im Bereich kultureller Bildung mit Präsentationscharakter, spartenübergreifende Vermittlungskonzepte, Einführungen in Tanzstücke, Tanzunterricht (Präsenz und virtuell), Begleitmaterial (Video, Hefte, Plakate, Fotos, etc.), Dokumentationen.

 

Akteur*innen innerhalb der Tanzvermittlung

Über die Hälfte der Beteiligten an der Umfrage arbeiten als Tänzer*innen (58 Prozent), Choreograf*innen (50 Prozent) oder Tanzpädagog*innen (40 Prozent) und sind überwiegend in den folgenden Arbeitskontexten tätig: Tanzinstitution (52 Prozent), Theater (47Prozent), Tanzstudio / Tanzschule (36 Prozent) und im sozialen und / oder pädagogischen Bereich (30 Prozent).

 

Durchführung eigener Formate der Tanzvermittlung

Zu den von den Befragten am häufigsten entwickelten und/der durchgeführten Formate der Tanzvermittlung zählen: Workshop (77 Prozent), Projekt / Stückentwicklung (60 Prozent), regelmäßiger Kurs (54 Prozent) sowie Publikumsgespräch (48 Prozent) und ein eigenes künstlerisches Format (36 Prozent).

 

Diese Formate fanden vor allem in Theatern (63 Prozent), Tanzinstitutionen (58 Prozent), Tanzstudios / Tanzschulen (54 Prozent), im öffentlichen Raum (52 Prozent) oder in der Schule (45 Prozent) statt und wurden überwiegend von folgenden Zielgruppen besucht: Erwachsene (78 Prozent), Jugendliche (65 Prozent), gemischtes und/oder allgemeines Publikum (58 Prozent), Kinder (52 Prozent), Professionelle (42 Prozent) sowie Menschen mit Behinderung (27 Prozent).

 

Teilnahme an Formaten der Tanzvermittlung

Die Befragten nehmen vor allem an folgenden Formaten der Tanzvermittlung teil: Workshop (87 Prozent), Publikumsgespräch (77 Prozent), regelmäßiger Kurs (62 Prozent) sowie Projekt / Stückentwicklung (60 Prozent). Diese fanden vor allem in Tanzinstitutionen (88 Prozent), Theatern (85 Prozent), Tanzstudios / Tanzschulen (68 Prozent), im öffentlichen Raum (46 Prozent) oder in Galerien / Museen (42 Prozent) statt.

 

Besonders gut gefallen hat es ihnen bzw. besonders wichtig dabei fanden sie, dass sie: Tänzer*innen und Choreograf*innen kennenlernen konnten (73 Prozent); etwas über Tanz lernten (71 Prozent); gemeinsam etwas erschaffen / aufbauen und mit anderen Zuschauer*innen in den Austausch kommen (62 Prozent); sich bewegen und unter Menschen sind (61 Prozent); Spaß haben (60 Prozent); sich wertgeschätzt fühlen (59 Prozent); mit Menschen zu tun haben, denen sie normalerweise nicht begegnen (56 Prozent); sich beteiligen können (55 Prozent) sowie sich ausdrücken können (53 Prozent).

 

Zu den gewünschten Verbesserungen bei diesen Formaten wurden u.a. folgende genannt: Mehr Sichtbarkeit der Angebote, mehr Zugänglichkeit und Barrierefreiheit, mehr interdisziplinäres Arbeiten, vielfältigere Formate für unterschiedliche Zielgruppen, mehr Beachtung der sozialen Bedeutung und der emotionalen Ebene von Tanz und Bewegung, eine Trennung von „Vermittlung“ von „Pädagogik“ sowie weniger „elitär“ sein und mehr in die Gesellschaft hineinwirken.

 

Inklusion und Barrierefreiheit

Mehr als ein Drittel der Befragten (42 Prozent) führen eigene barrierefreie Formate und Angebote durch. Diese sind vor allem zugänglich für: Menschen mit Gehbehinderungen bzw. Menschen, die mit Rollstuhl bzw. anderen Gehhilfen unterwegs sind (87 Prozent), Menschen mit Sehbehinderung (67 Prozent), Menschen mit Sprachbehinderung (59 Prozent), Mensch mit Lernschwierigkeiten (54 Prozent) sowie Menschen mit neurodiversen Erkrankungen und Menschen mit psychischen Erkrankungen (49 Prozent). Die Hauptzielgruppen dieser Angebote sind Erwachsene (74 Prozent), Jugendliche (59 Prozent) sowie ein gemischtes und/oder allgemeines Publikum (49 Prozent).

 

Fast die Hälfte der Beteiligten nehmen an Formaten und Angeboten teil, die barrierefrei gestaltet sind (47 Prozent). Diese sind vor allem für Menschen mit Gehbehinderungen bzw. Menschen, die mit Rollstuhl bzw. anderen Gehhilfen unterwegs sind (76 Prozent), Menschen mit Sehbehinderung (51 Prozent), Menschen mit Sprachbehinderung (39 Prozent) sowie Taube oder schwerhörige Menschen (32 Prozent) zugänglich. Die Hauptzielgruppen sind auch hier Erwachsene (80 Prozent), ein gemischtes und / oder allgemeines Publikum (44 Prozent) sowie Jugendliche (37 Prozent).

 

Zu den größten Hindernissen und Herausforderungen bei der Gewährleistung von Barrierefreiheit und Inklusion sowohl bei der Entwicklung / Durchführung von als auch bei der Teilnahme an Tanzvermittlungsformaten zählen vor allem folgende Kriterien: Räumlichkeiten sind nicht barrierefrei (77 Prozent), Mensch mit Behinderung fühlen sich nicht eingeladen (66 Prozent), Angebote bieten keine Übersetzung in Gebärdensprache an (60 Prozent), mangelnde Kommunikation / Sichtbarkeit von Barrierefreiheit (58 Prozent), Angebote bieten keine Audiodeskripition an (55 Prozent), Angebote sind nur auf Deutsch und Webseite bzw. Werbematerial ist nicht barrierefrei gestaltet (50 Prozent).

 

Förderstrukturen der Tanzvermittlung

Fast die Hälfte aller Befragte kennen eine oder mehrere Fördermöglichkeiten für Tanzvermittlungsformate und/oder haben diese in Anspruch genommen (48 Prozent), gleichzeitig hat über die Hälfte der Beteiligten Bedarf an Beratung zu Fördermöglichkeiten (52 Prozent).

 

Vision für ein Berliner Tanzvermittlungszentrum

Von einem zukünftigen Berliner Tanzvermittlungszentrum erwarten bzw. wünschen sich die Beteiligten, dass es eine unabhängige Struktur/Institution wird, die Verbindung zwischen unterschiedlichen Stadtrealitäten und Zielgruppen schafft und einen lebendigen sowie partizipativen Aufbau ermöglicht.

 

Das Zentrum soll ein barrierefreier, zugänglicher, diskriminierungsfreier, nicht hierarchischer, einladender und gut erreichbarer Ort sein, der u.a. Folgendes bietet bzw. der folgende Aufgaben übernehmen sollte: Förderungen, Diversität (sowohl in Bezug auf Angebote und Zielgruppen als auch auf Tanzstile und Formate), Begegnung, Offenheit, Vermittlung durch Praxis/ Kooperation mit unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft, Koordinierung, Austausch, Vernetzung, Beratung, Bündelung und Verbreitung von Informationen, Bündelung der Expertise, Transparenz, Reflexionsmöglichkeiten, Weiterbildung, Lobbyarbeit und Interessenvertretung, Kurse und Workshops, Trainingsräume, Kommunikation, Stückentwicklung, Entwicklung einer Gesamtstrategie, Schaffung einer einheitlichen Plattform und Recherchemöglichkeiten.

 

In Bezug auf die Lage des Zentrums sind die meisten Befragten der Meinung, dass dieses einen festen, zentralen Ort haben soll (34 Prozent), aber gleichzeitig dezentral arbeiten (27 Prozent) und mobile Angebote machen (19 Prozent).

 

Die Beteiligten sehen momentan folgende Unterstützungsbedarfe, Herausforderungen und Hindernisse im Bereich der Tanzvermittlung: eine einheitliche Definition von Tanzvermittlung zu erreichen, Barrierefreiheit, Finanzierung, eine pandemiebedingte Restrukturierung der künstlerischen Szene, Transparenz in der Tanzszene, mehr Sichtbarkeit und Verankerung von Tanz in der Gesellschaft, mehr partizipative Konzeptentwicklung, mehr Zugänglichkeit für bisher wenig erreichte Zielgruppen, Umgang mit den Folgen der Corona-Pandemie, gerechte Verteilung von Ressourcen und Wissen, schwieriger Zugang für nicht in Tanz professionell ausgebildete Vermittler*innen.